Kennst du das auch? Dass sich jemand monatelang nicht bei dir meldet aus deinem Freundes- und Bekanntenkreis und dann merkst du im 2. Satz, dass derjenige was von dir braucht? Puh, schlucken, durchatmen.

Heute geht’s um den Umgang mit Ärger. Ob man ihn besser runterschlucken sollte oder rauslassen? Beides ist ehrlich gesagt, nicht die beste Idee, beides kann mehr Schaden anrichten als es gut tut und weiter hilft.  Ich erzähle dir heute von einem eigenen Ärger-Fall, von den Tücken des Umgangs mit dem Ärger und mögliche bessere Lösungswege.

 –  Diesen Text kannst du als Podcastfolge 95  im Lichtfinder Lebensfreude Podcast hören. Kostenlos und überall, wo es Musik gibt. Mehr dazu. 

Neulich hab ich mich ein bisschen geärgert. Ich? Die Anti-Ärger-Expertin? Ja ja, es passiert mir noch gelegentlich, dass ich mich ärgern lasse. Wohlgemerkt. Ich lasse es dann zu, dass ich mich ärgere.

Eine frühere Freundin und Kollegin hat sich bei mir nach langer Zeit gemeldet. Ohne Gruß, ohne Nachfrage, ohne an meine letzten 5 Geburtstage zu denken, kam die SMS: Sie hätte da mal ein paar Fragen ….

Ich war sauer. Ich hätte sofort zurückschreiben können. Früher, vielleicht noch vor 10-15 Jahren hätte ich mir ziemlich ungefiltert Luft gemacht. Denn Ärger runterschlucken ist gefährlich für die eigene Gesundheit, hab ich früher geglaubt. Und da ist ja durchaus was Wahres dran, doch dazu später mehr.

Ich hätte also früher all meine negativen Gedanken in Form von „Du-Vorwürfen, immer und nie“ einfach rausgelassen, wenigstens in ein paar giftigen schriftlichen Sätzen.

Tatsächlich hab ich meine inneren Wölfe für mich ein bisschen rausgelassen, hab ihnen Auslauf gewährt und für mich ein paar Urteile und Bewertungen gefällt. So nach dem Motto:

Also… Freundschaft sieht für mich anders aus. Das ist wirklich keine gute Freundin. Immer kommt sie nur, wenn sie was braucht. Kein Interesse daran, wie es mir eigentlich geht. Unterstützt hat sie mich auch noch nie, oder? Bis heute kein Kommentar zu irgendeinem meiner Sachen. Aber jetzt braucht sie mich, weil sie meine Expertise möchte. Hallo, dafür lass ich mich eigentlich bezahlen, soll sie doch einen Termin machen… Ich fühle mich ausgenutzt!!!

Jaja… so tanzen die Wölfe manchmal.

Dass ich so mit jemandem spreche oder schreibe, darüber bin ich zum Glück schon ein paar Jahre hinweg, jedenfalls, wenn es klappt, dass ich mir eine Lücke verschaffe zwischen Reiz und meiner Reaktion. Das gelingt mir in den allermeisten Fällen.

Gelernt hab ich im Laufe meiner Ausbildungen, wie ich so ein Störung sozusagen „gewaltfrei“ – ohne Vorwürfe – ansprechen kann. Und das hat in der Vergangenheit auch schon oft gut funktioniert, vor allem bei echt schwierigen Themen, die ich ohne diese Kompetenzen niemals so gut lösen hätte können.

Ich hab also für die Freundin einfach mal was aufgesetzt, ganz in schöner Manier gewaltfreier Kommunikation. Doch mein Ärger war noch ziemlich frisch zu dem Zeitpunkt.

Ich hab von mir gesprochen, von meiner Enttäuschung und was ich mir gewünscht hätte und dass ich keine Antworten wie ein Roboter ausspucken möchte. Ich hätte also keine Lust, dafür zur Verfügung zu stehen.

Es wäre klar gewesen und sehr ehrlich.

Ich hab mich dann dagegen entschieden, es abzuschicken und war spürbar erleichtert.

Was wäre nämlich passiert, wenn ich das – noch so schön gewaltfrei formuliert – abgeschickt hätte?

Der letzte seidene Faden unserer Verbindung wäre vermutlich abgerissen.

Weil die Gewaltfreie Kommunikation – so wie sie heute oft gelehrt wird – leider immer wieder etwas vergisst. Das was Marshall Rosenberg ursprünglich so wichtig war. Man vergisst leider oft die Verbindung in der Beziehung, die einem wichtig ist. So sehr will man in dem Moment loswerden, was in einem vorgeht und die eigenen Gefühle ausdrücken und die Dinge klären.

Und dann vergisst man, was das mit dem anderen macht. Und dass das Fundament trotz bester Formulierungen brüchig werden kann.

Deshalb hab ich das Konzept ja auch weiterentwickelt, um dem ursprünglichen Gedanken nach Verbindung gerecht zu werden: es soll eine Brückenkommunikation sein, ein Weg, der Brücken zueinander baut. Brücken nach innen zu einem selbst und Brücken nach außen.

Ich hol mir dabei alles wertvolle aus Marshall Rosenbergs Lehre, doch es wird Wert auf Verbindung und Alltagstaugliche Sprache gelegt.

Nun könnte ich natürlich sagen auf diese Freundschaft lege ich keinen Wert mehr. Das will ich aber nicht. Denn mir ist die Verbindung – wie auch immer- noch wichtig. Abschicken wollte ich das jedenfalls so nicht.

Spannend war dann, wie sich die Denkprozesse weiterentwickelten:

‚Vielleicht tu ich ihr auch unrecht‘, dachte ich. Denn, als im Chat zurückblätterte, bemerkte ich, dass wir uns doch immer mal wieder gegenseitig verfolgt hatten und gelegentlich austauschten über die Zeit. Ich bemerkte auch, dass ich selbst auch keine große Initiative gezeigt hatte oder Kontaktversuche gestartet hätte. Und wenn ich ganz ehrlich bin, haben wir schon immer eine Beziehung gehabt, die nur halb privat war, mehr gegenseitig unterstützend in beruflicher Hinsicht. Ich hatte also wohl zu viel hineininterpretiert. Ich selbst hab sie auch schon ewig um nichts Konkretes gebeten. Dafür kann sie wiederum nichts.

Ich wäre schlichtweg UNFAIR gewesen ihr gegenüber. Sie hätte auch den Frust abbekommen, der sich bezüglich anderer Leute aufgebaut hat, die sich ähnlich verhalten. Auch das wäre unfair gewesen.

Und so ist es oft. Aus dem unmittelbaren Ärger heraus ist unser Urteilsvermögen stark subjektiv eingefärbt. Wir tun tatsächlich dem anderen oft unrecht. Wir sind dann fest überzeugt, das sei genau so und nicht anders.

So hab ich meinen Kindern in der Vergangenheit auch schon oft unrecht getan, wenn ich sie verdächtigt hatte, dass sie was vergessen oder verlegt hätten.

Wir suchen dann so schnell einen Schuldigen! „Ooooh, wer hat die Butter aufgegessen und nicht auf den Zettel geschrieben, dass wir neue brauchen? Wer hat die Haustüre einfach offen stehen lassen? Wer hat vergessen, die Hundepfoten abzutrocknen???“

Manchmal war ich es tatsächlich selbst gewesen, die irgendwas verlegt oder vergessen hat, weil ich den Kopf mal wieder so voll hatte.

Ja, wir suchen im Ärger gerne den Schuldigen. Wir wollen unserem Ärger Luft machen. Während uns das im öffentlichen Raum in der Regel gut gelingt, den Mund zu halten und erstmal zu schweigen, ist das zu Hause oder mit engen Menschen so viel schwieriger.

Am schwierigsten ist es tatsächlich, je näher einem eine Person steht. Das geht wohl allen Menschen so.

So hat eine Mutter mir vor kurzem erzählt, sie hätte ihren Teenager am Tisch gebeten, das Handy wegzulegen, beim Mittagessen. „Das geht doch nirgends, dass man beim Essen ins Handy schaut. Es ist unhöflich für die, die mit am Tisch sitzen“, meinte sie zu ihrem Sohn. Der antwortete: „Daheim geht das doch. Da ist es doch egal.“

Sie war baff.

Nein, es ist nicht egal. Es bedeutet zwar, dass wir scheinbar in einem sicheren Raum sind und uns viel mehr erlauben können, weil wir gerne so genommen werden wollen wie wir sind… Doch dummerweise interpretieren wir das oft in die Richtung, dass wir uns „gehen lassen“ im negativen Sinn und denken, die Beziehung zu unseren Liebsten müsste das doch schließlich aushalten.

 

Deshalb ist auch mein Blogartikel nach wie vor der meistgelesene und meistkommentierte: Warum sind wir zu unseren Liebsten eigentlich so gemein?

Kurz und knapp die Antwort darauf: Weil wir meinen, dass es sicher ist. Weil wir glauben, uns nicht anstrengen zu müssen im Raum enger Beziehungen.

Doch die Folgen sind auf Dauer verheerend. Der Artikel ist augenöffnend und wirklich lesenswert.

 

Jedenfalls, was meine frühere Freundin und Kollegin betrifft… Ich hab mich entschlossen ihre Fragen bei einem Telefonat zu beantworten.

Ich gebe so viel, wie ich bereit bin zu geben. So kann mich tatsächlich niemand ausnutzen. Ich gebe ja freiwillig.

Vielleicht spreche ich am Telefon auch an, dass ich gerne mehr Gleichgewicht hätte, mehr Gegenseitigkeit und bitte sie im Gegenzug auch mal um einen Gefallen. Dann ist es halt eher eine Tausch-Beziehung und keine Freundschaft. Auch das kann bereichernd sein. Es liegt an mir, auch mal um etwas zu bitten und dieses Gleichgewicht erst möglich zu machen.

Manchmal haben andere Menschen auch einfach eine längere schlechte Phase und sind deshalb sehr ich-bezogen und haben keine Kraft und keinen Sinn für die Belange anderer. Dann ist das auch in Ordnung.

Ich gehe heutzutage immer öfter vom bestmöglichen Fall aus.

Ich weiß, was jemand macht oder sagt, tut er FÜR sich und nicht gegen mich.

Der bestmögliche Fall könnte genauso gut sein und ich fühle mich besser damit. Wenn es sich anders entwickelt, kann ich immer noch darauf reagieren.

 

Was kannst du heute mitnehmen?

  1. Mach deinem Ärger möglichst nicht im Akutzustand Luft (Außer du bist eine sehr erfahrende Giraffe. Das Tier nach Rosenberg mit dem größten Herzen, fähig zur Empathie und von sich und den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen zu sprechen.)

Sprich deinen Ärger nicht an den Adressaten aus, in dem Moment, wo dein Gefühl akut ist. Gib dir genug Zeit, ihn verfliegen zu lassen. Lass eine Lücke zwischen dem Trigger-Reiz und deiner Reaktion.

Atmen ist immer eine sehr gute Idee, um sich diese Lücke zu verschaffen, im Akutfall.

Merke: Ärger rauslassen wenn er gerade noch ziemlich frisch ist, macht mehr kaputt als es weiter hilft.

Deshalb ist es oft auch hilfreich, mal eine Nacht drüber zu schlafen. Auch übrigens, bevor eine schriftliche Antwort abgeschickt wird. Wenn man die sich am nächsten Tag durchliest, ist man oft selber erstaunt über die eigenen Formulierungen und ist froh, es nicht abgeschickt zu haben.

Grundsätzlich ist schriftliches hin und her streiten über Messenger eine dumme Idee. Da entsteht nix Gutes draus. Wenn ich meinem Ärger mal Luft machen möchte, dann am besten persönlich und mit der Regel: Möglichst von mir selbst sprechen und wie es mir damit geht.  Was ich mir wünsche. Ohne Du-Vorwürfe, ohne „immer und nie“.

 

  1. Zulassen des Ärgers | Giraffen-Schrei für sich selbst

Das nennt sich dann auch der Giraffen-Schrei: „Ich bin sooo sauer! Ich brauche so dringend mal, dass jemand sieht, wie es mir gerade geht!!!!“

Das Gefühl des Ärgers zuzulassen, für sich selbst auszudrücken, ist dabei tatsächlich wichtig. Sonst gibt es Magengeschwüre, Kopfschmerzen und schlechten Schlaf. Also: Wölfe für sich allein rauslassen!

Danach sollten wir mal einen Schritt zurücktreten und das große Ganze betrachten. Was ist objektiv passiert? Worum geht es mir eigentlich in dieser Beziehung und in diesem Fall? Was ist mein Anteil, was sind meine Trigger? Ist das wirklich fair demjenigen gegenüber? Gibt es die Möglichkeit, dass die Absicht eine Gute ist?

Statt runterzuschlucken DARF dieses Gefühl erst einmal SEIN und dann lass ich es durch mich hindurchziehen. Ich halte es nicht fest.

So mache ich manches erstmal mit mir selbst aus und die Beziehung wird nicht belastet.

Denn selbst wenn ich noch so schön formuliere, empfindliche Seelen hören trotzdem fast immer einen Vorwurf heraus und fühlen sich dann auch schlecht – vielleicht völlig zu unrecht.

 

  1. Nötig anzusprechen? Dann mit der Brückenkommunikation

Wenn es ein Thema ist, was wirklich geklärt gehört, dann kann man es immer noch ansprechen: mit den Schritten der Brückenkommunikation, verbindend und klar.

Das geht dann am besten, wenn die starken Emotionen schon verraucht sind, wenn Ruhe eingekehrt ist, vorher macht man nur unnötig was kaputt in der Beziehung.

 

Das Beziehungskonto braucht Balance

Schließlich gibt es auch für jede Beziehung ein Konto, ein emotionales Konto, auf das beide ständig einzahlen und abheben, meist unbewusst.

Mehr positive Botschaften sollten eingezahlt werden als negative Botschaften, die vom gemeinsamen Konto eine Abhebung bedeuten.

Wenn du von heute an beginnst, manchen frischen Ärger erstmal mit dir selbst auszumachen. Den Wolf für dich allein rauszulassen, dann einen Schritt zurückzutreten, wirst du bemerken, dass sich manches ganz von selbst klärt und gar keine Notwendigkeit besteht, die Beziehung damit zu belasten.

Solltest du es ansprechen wollen, frage dich, was dir wirklich wichtiger ist: Recht haben oder glücklich sein?

Manchmal wäre es kein Rechthaben, sondern eine wichtige Klärung, damit du in eurer Beziehung nicht dauernd ein Päckchen rumschleppen musst.

Dann gehe für dich die 4 Schritte der Brückenkommunikation durch. So wird das Gespräch mehr Erfolgsaussichten haben.

Lade dir dazu gerne das kleine Ebook Going deep herunter auf meiner Seite www.lichtfinder.com unter Kostenloses. Darin findest du die 4 Schritte und bekommst eine Gefühls- und Bedürfnisliste zur Klärung, was in dir los ist. Du kriegst es im Gegenzug für deine Eintragung in die Lichtblicke Post.

Ich wünsche dir alles Gute für dich und deine Beziehungen. Denn sie sind so wichtig fürs gefühlte Lebensglück.

Übrigens findet am 6.8. ein online Seminartag statt: Entspannte Beziehungen leben.

Eben ist er erstmal nur auf Facebook eingestellt. Im Newsletter werde ich ihn auch noch in die Welt schicken und natürlich auf meiner Website. Mehr Infos.

Ach ja: gute Kontakten wollen sich gegenseitig unterstützen. Lass mir deshalb gerne bei Apple Podcasts oder Spotify 5 Sterne und eine gute Rezension da. Oder teile diese Folge weiter. Ich würde mich sehr freuen.

Alles wird gut.

Deine Kerstin  …von Lichtfinder und neu: Brückenfinder: speziell für Beziehungen.

 

Kerstin Bulligan

Kerstin Bulligan

Autorin & Menschlichkeitsexpertin

Kerstin Bulligan ist Coach für friedliche, erfüllte Beziehungen und Lebensfreude. Ihr Lichtfinder Lebensfreude Podcast gehört zu den geschätzten und beliebten Podcasts im Bereich Beziehungen und Persönlichkeitsentwicklung. Der Umgang mit Schwierigkeiten im menschlichen Miteinander und Wege zu Verbindung mit sich selbst und anderen sind Kernthemen.